Bummeln, Pommes & Wolkenfantasie
Kapitel 4. Fensterplatz ins Leben.
In den Kapiteln zuvor habe ich ja erzählt, wie eng es bei uns daheim war.
Bruder „Bübi“, zehn Jahre älter, nicht wirklich „amused“ über eine kleine Schwester,
und Schwester „Gitti“, elf Jahre älter, der das irgendwie alles schnuppe war …
solange sie lesen durfte.
Wenn also meine Geschwister in der Schule waren, war Kevin Petra allein zu Haus …
nein! Natürlich nicht!
Papa war arbeiten, und Mama hielt die Wohnung sauber und ordentlich,
kochte, wusch und machte all das,
was eine Hausfrau eben zu machen hatte.
Bummeln in Bochum
Manchmal gingen wir „bummeln“. Kennt ihr das Wort bummeln?
Irgendwann war das ein Modewort – und wenn Mama mit mir in die Stadt fuhr,
also nach Bochum, dann hieß es: Wir gehen bummeln.
Im Klartext hieß das aber:
Einer in der Familie brauchte irgendwas Neues zum Anziehen.
Puh … das war schon damals für mich eine Qual.
Wobei es auch immer ein Highlight gab:
eine Pommes bei Nordsee oder im Kochlöffel essen.
Zuhause gab es nämlich keine Pommes.
Es gab zu 90 % Kartoffeln – mal Salzkartoffeln, dann Bratkartoffeln
oder auch mal Kartoffelpüree.
Ach ja … Reibekuchen! Die gab es hin und wieder auch.
Und wenn Mama mal einen richtig guten Tag hatte,
ging sie mit mir sogar auf einen Spielplatz!
Das kam allerdings nicht oft vor …
vielleicht erinnere ich mich gerade deswegen so gut an die wenigen Male?

Mein Malplatz am Fenster
Ansonsten musste ich mich eben entscheiden, womit ich spielen wollte.
Alleine war das meistens ein bisschen doof.
Und dann entdeckte ich das Malen für mich.
Unsere Wohnung war ja in der vierten Etage,
und im Sommer geht so weit oben meist ein kleiner Wind.
Also baute meine Mutter mir einen richtig tollen Platz:
Im Schlafzimmer öffnete sie beide großen Fensterflügel,
stellte einen Tisch vor die Fensterbank,
daran einen normalen Stuhl mit zwei dicken Sofakissen unterm Po
(solche Kinderstühle wie es sie heute gibt, gab es im Hause Kitowski nicht).
Und das war dann im Sommer immer mein Malplatz.
Ich liebte diesen Platz!
Und nein, ich habe nie versucht, da hochzuklettern.
Ich glaube, wenn ich das versucht hätte,
hätten nicht mal die zwei Kissen gereicht,
um meinen Po zu polstern –
denn ich hätte dann wohl für eine gewisse Zeit gar nicht mehr sitzen können!
Weder dort noch woanders.
Von diesem Platz aus hatte ich freie Sicht …
auf die Autobahn A43, auf ein paar Baumkronen – und in den Himmel.
Wolkenbilder & erste Buchstaben
Ich denke, dort habe ich meine Fantasie entdeckt:
in Wolken imaginäre Figuren oder Landschaften zu erkennen.
Da gibt es – wie ich heute weiß – sogar einen Namen für: Pareidolie*.
Schöner Begriff, oder?
Stundenlang konnte ich dort sitzen, malen
und in den Himmel, in die Ferne schauen.
Meine Mutter brachte mir bei,
dass man beim Ausmalen nicht über die Linien malen darf.
Auch die ersten Buchstaben schreiben lernte ich dort, an diesem Platz.
Schön war’s!
Der Garten & die neugierigen Nachbarn
Zu dem Acht-Familien-Haus gehörte ein Gemeinschaftsgarten.
Manchmal durfte ich auch dort hin und meine Puppe im Puppenwagen umherfahren.
Das durfte ich aber nur,
weil meine Mutter wusste,
dass der Hausbesitzer, Herr Schmale, immer darauf achtete,
dass das Gartentor geschlossen war.
Ich fand es dort im Garten aber nicht so toll …
meist saßen dort die Eheleute Lukas
(Nachbarn aus der ersten Etage, die meiner Meinung nach
das Wort Neugierde erfunden hatten)
mit Frau Kuhlmann und quatschten.
Sie wussten immer alles, meinten sie zumindest.
Und wenn sie mal was nicht wussten, erfanden sie einfach etwas.
Keine anderen Kinder weit und breit.
Höhlenbau im Allroundzimmer
Und wenn es regnete?
Fenster zu und malen war blöd.
Im Garten allein mit der Puppe spielen war auch nicht so toll.
Aber dann durfte ich aus unserem Allroundzimmer
einen Abenteuerplatz bauen!
Über den Esstisch wurden große Decken gelegt,
die Stühle verkehrt herum darauf, damit die Decken Halt hatten,
und alle Kissen, die wir hatten, kamen in meine „Höhle“.
Das war herrlich!
Meine Mutter stellte mir dort sogar eine Lampe hinein,
sodass ich dort „lesen“, malen
oder einfach irgendwas spielen konnte.
Wichtig war aber:
Um 16:30 Uhr kam meist mein Papa heim –
und da musste alles aufgeräumt sein!
Denn dann wurde genau an diesem Tisch gegessen und ferngesehen.
Die Tagesschau oder sowas.
Irgendwas, was mich auf alle Fälle nie interessiert hat.
Und sonst so? Kleine Erinnerungsfetzen
Wenn’s richtig heiß war, durfte ich die Füße in die Waschschüssel mit kaltem Wasser stellen.
Ich durfte manchmal auf dem Küchenschrank sitzen und durchs Fenster die Straße beobachten – mein kleiner Aussichtsturm über der Welt.
Ich hatte noch kein richtiges Bett, sondern schlief noch im Gitterbett im Elternschlafzimmer.

*1: Pareidolie
bezeichnet das Phänomen, in zufälligen Strukturen – etwa Wolken, Flecken oder Holzmaserungen – vertraute Formen oder Gesichter zu erkennen.
Der Begriff stammt aus dem Griechischen (para = daneben, eidos = Gestalt).
Er wurde bereits im 19. Jahrhundert in der Psychologie verwendet.
Frühe Forscher beschrieben damit die menschliche Tendenz, Ordnung und Bedeutung im Zufall zu suchen.
Bekannt wurde er später durch projektive Tests und Surrealisten wie Salvador Dalí.
Heute findet man Pareidolie auch in der KI-Forschung wieder, etwa wenn Maschinen Gesichter in Mustern „sehen“.
Das Phänomen gilt als Ausdruck menschlicher Kreativität und Wahrnehmungsfreude.
