Ruhrpott-Grau und ein Wunschkind
Kapitel 1. Der Anfang meiner Geschichte. Im Revier. Im Leben.
Das Ruhrgebiet.
Der Ruhrpott. Der Kohlenpott. Das Revier.
Es gibt viele Synonyme für meine Heimat.

1968: Alles irgendwie Grau in Grau. Familie Kitowski lebte mitten drin.
Naja … nicht wirklich mitten drin, sondern am Stadtrand.
Sie kamen aus Castrop-Rauxel und wollten in die Stadt ziehen.
Bochum. Riemke. Direkt neben Herne.
Mit Blick auf die A43.
Kein Telefon. Nur Schwarz-Weiss-Fernseher. Von Nordmende.
Fragt mich nicht, wieso ich mir diesen Namen merken kann.
Anscheinend ist er oft daheim erwähnt worden?
Es war damals auf alle Fälle etwas Besonderes.
Meine Mutter wollte mich aber nicht in Bochum in die Welt entlassen.
Nicht in dieser -für sie- noch fremden Stadt.
Also wurde ich in Castrop-Rauxel geboren. Im St. Rochus-Hospital.
Am 31. Juli 1968.
Doch ganz so einfach war es nicht.
Ich lag falsch. Schief im Bauch.
Heute würde man sagen: „Kein Problem, Kaiserschnitt und fertig.“
Damals nicht.
Die Hebamme – oder vielleicht war es ein Arzt, so genau weiss es keiner mehr –
drückte auf den Bauch meiner Mutter.
Versuchte, mich irgendwie zu drehen.
Dabei brach mein rechter Oberarm.
Als ich endlich da war, kam ich nicht in Mamas Arm.
Stattdessen fuhr man mich sofort nach Datteln in die Kinderklinik.
Dort lag ich, winzig, mit eingegipstem Ärmchen.
Und damit ich mich nicht befreite, banden sie es fest.
Als ob das nicht reichte, fixierten sie irgendwann auch den anderen Arm –
weil ich wohl zu lebendig war.
So lag ich also da: ein Neugeborenes, beide Arme festgebunden.
Meine Mutter durfte und konnte mich erst Tage später sehen.
Ihr Baby – nicht in ihren Armen, sondern in einem Bettchen,
fixiert wie ein kleines Paket.
So begann also mein Start ins Leben: schief im Bauch, gebrochener Arm, Tage ohne Mutter.
Und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – war ich ihr Wunschkind.
Das berühmte Wunschkind also.
Endlich eins, das man nicht nur so nebenbei großziehen wollte.
Klingt schön, nicht wahr?
In Wirklichkeit hiess das wahrscheinlich:
mehr Zöpfe flechten, mehr Kleidchen bügeln –
mehr behütet sein.
Mit diesem Kind auf Spielplätze gehen, Schulveranstaltungen besuchen
und all das erleben, was sie bis dahin nicht konnte.
Die Arbeit auf dem Bauernhof ihres Vaters nahm vorher jegliche Zeit in Anspruch.
Somit wurde also Castrop-Rauxel mein Geburtsort,
doch Bochum meine Heimat.
Schön war’s! Aus heutiger Sicht.
Oberscheidstrasse 5 in 4630 Bochum-Riemke.
Schwarzes Kopfsteinpflaster.
Bürgersteige, auf denen ich zwar Rollschuhfahren gelernt habe,
aber fahren konnte man das nicht nennen.
Es war eher eine Huckelpiste.
Doch Babys bleiben nicht lange Babys.
Irgendwann landet man im Kindergarten.
Bei mir allerdings nur sehr kurz…

